Pierre Bourdieu, "In Algerien. Zeugnisse
der Entwurzelung", Installationsansicht Galerie im Taxispalais,
2005. Foto Rainer Iglar
Den verstehenden Blick des Ethnologen, mit dem ich Algerien
betrachtet habe, konnte ich auch auf mich selbst anwenden, auf
die Menschen meiner Heimat, auf meine Eltern, die Aussprache
meines Vaters und meiner Mutter, und mir das alles so auf eine
völlig undramatische Weise wiederaneignen, denn hier liegt
eines der großen Probleme entwurzelter Intellektueller,
wenn ihnen nur die Alternative zwischen Populismus oder im Gegenteil
einer durch Klassenrassismus bedingten Scham für sich selbst
bleibt. Ich bin diesen Menschen, die den Kabylen sehr ähnlich
sind und mit denen ich meine Kindheit verbracht habe, mit dem
Blick des Verstehens begegnet, der für die Ethnologie zwingend
ist und sie als Disziplin definiert.
Die Fotografie, die ich zunächst in Algerien und dann
im Béarn praktiziert habe, hat als Begleiterin zweifellos
viel zu dieser Konversion des Blicks beigetragen, die eine wahre
– und ich glaube, das Wort ist nicht zu stark –
Sinnesänderung voraussetzte. Denn die Fotografie ist eine
Manifestation der Distanz des Beobachters, der seine Daten erfasst
(...), aber zugleich setzt die Fotografie auch die ganze Nähe
des Vertrauten, des Aufmerksamen und eine Sensibilität
selbst für kaum wahrnehmbare Details voraus, Details, die
der Beobachter nur durch seine Vertrautheit unmittelbar zu verstehen
und zu interpretieren vermag (und sagt man nicht von jemandem,
der sich gut benimmt, dass er „aufmerksam“ ist?),
eine Sensibilität für das unendlich kleine Detail
einer Handlung, das selbst dem aufmerksamsten Ethnologen zumeist
entgeht. Die Fotografie ist aber auch verwoben mit dem Verhältnis,
das ich zu jedem Zeitpunkt zu meinem Gegenstand unterhalten
habe, und ich habe keinen einzigen Augenblick lang vergessen,
dass es sich dabei um Menschen handelte, Menschen, denen ich
mit einem Blick begegnet bin, den ich – auch wenn ich
befürchte, mich dadurch lächerlich zu machen –
als liebevoll, oft auch gerührt bezeichnen möchte.
Pierre Bourdieu