João
Penalva setzt sich in seinen
Arbeiten mit tatsächlichen Ereignissen auseinander, die er
umfassend recherchiert und in jeweils spezifischer Ästhetik
re-inszeniert. Er verleiht ihnen dadurch sowohl den Anschein der
Realität als auch der Fiktion. Penalva zeigt in den
Erdgeschoßräumen der Galerie drei Arbeiten, zwei
raumbezogene Installationen und eine Video-Arbeit in
Großprojektion.
"LM44/EB61" ist der Titel
einer Arbeit, deren Angelpunkte zwei Portraits bilden. Penalva
rekonstruiert hier die Geschichte eines Mordes in einer Londoner
Antiquitätenhandlung, der 1961 verübt wurde. Die
Initialen stehen für zwei Personen, den Besitzers des
Geschäftes, Louis Meier, und den Mörder, Edwin Bush,
der zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde. Das eine Portrait hatte
Kurt Schwitters 1944 von Meier gemacht, das andere ist ein
Fahndungsporträt der Polizei von Bush aus dem Jahr 1961.
Penalva verkoppelt seine Recherche der Geschichte von Meier und
Schwitters, die beide aus Deutschland flüchten mussten, mit
der Recherche zu dem Mord. Diagrammatisch aufbereitetes Archivmaterial,
historische Zeitungsauschnitte u.a. rollen die unterschiedlichen
Kontexte dieser Bilder auf. Das Publikum findet sich am Tatort wieder,
der sich als Grundriss in Originalgröße auf einem
rotem Boden befindet.
Die Installation "Character
and Player" (Rolle und Darstellerin) ist Penalvas Interpretation der
Biografie einer Frau, deren Identität nicht bekanntgegeben
wird, am Beispiel von 100 Fotografien, die in unterschiedlichen
Abschnitten ihres Lebens und an verschiedenen Orten entstanden waren.
Penalva beschnitt die Fotografien so, dass das Umfeld der Frau
fragmentarisch sichtbar wird, jedoch nicht genug Information geliefert
wird, um ihre persönliche Geschichte zu kontextualisieren. Die
Abfolge der Fotos, die als Diapositive an die Wand projiziert werden,
ist nicht chronologisch. Penalva forciert den Faktor Zeit, der
"Character and Player" determiniert. Die Projektionen sind
unterschiedlich im Rhythmus zwischen einer und vier Sekunden
geschaltet. Dazu kommt die akustische Verstärkung der
Projektoren, deren Kühl- und Transportgeräusche auf
vier Lautsprecher übertragen werden.
Penalva versetzt die Protagonistin von "Character and Player" in einen
ambivalenten Zustand, den er im Titel anspricht. Es bleibt offen, ob es
sich bei der dargestellten Person, wie es die Fotografien suggerieren,
um eine Schauspielerin in verschiedenen Rollen handelt, ob sie einen
öffentlichen Status als Berühmtheit hatte oder ob
hinter diesen Aufnahmen etwas ganz anderes steht. Die Projektion, der
sich Penalva als künstlerisches Mittel bedient, findet auch im
übertragenen Sinn durch die BetrachterInnen statt, deren
Erinnerung und Phantasie durch die historisch codierten Fotografien in
Gang gesetzt werden.
(Wir danken dem Fundação Centro Cultural de
Belém, Lissabon, für die Leihgabe.)
"336 Rivers" ist eine
Video-Arbeit, in der Penalva wiederum Dokumentation und Fiktion
miteinander verschränkt. Die 336 Flüsse sind
fotografisch erfasst –
alle Flüsse, die in den Baikalsee
fließen. Die Fotos stammen nicht von Penalva selbst, sondern
von dem Russen Maxim Timofeev, mit dem Penalva über e-mail in
Kontakt kam. Die Ebene der Landschaftsbilder überlagert
Penalva mit ineinander verschränkten textlichen Ebenen. Ein
Sprecher spricht diese Texte in russischer Sprache, englische
Untertitel liefern eine Übersetzung. In den von Penalva
verfassten Texten geht es um verschiedene Geschichten, Volkslegenden,
urbane Mythen, um Dokumentarisches und Erinnerungen. Eine der
Textebenen bilden die Namen der 336 Flüsse, die in russischer
und burjatischer Sprache zu hören sind. Eine weitere ist die
Legende um die Flüsse, die in den Baikalsee fließen,
von denen jedoch einer aus dem See herausfließen soll.
Penalva bedient sich in "336 Rivers" struktureller Mittel, die der Film
mit dem Konzept der Psychoanalyse gemeinsam hat. Begriffe wie
Überlagerung, Übertragung, Erinnerung bestimmen
Inhalt und Methode der Arbeit. Das Publikum findet sich in einer vom
Künstler konstruierten Zwischenzone wieder, die einen Raum
für die Interpretation und Imagination eröffnet.
João Penalva ist Portugiese und lebt in London.
Fotobuch
João Penalva
Character and Player
Hg. Silvia Eiblmayr, Galerie im Taxispalais
triton Verlag, Wien 2000
102 Seiten, 50 Abb.
Preis € 10.-
ISBN 3-85486-067-6
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