Milica Tomić
13. November 1999 – 9. Jänner 2000

 
 
Milica Tomic Milica Tomic

Milica Tomić, "I am Milica Tomić", 1998/1999
Foto: Robert Fleischanderl

Milica Tomić, "XY ungelöst", 1997
Foto: Robert Fleischanderl
 
  Eröffnung
Freitag, 12. November 1999, 19 Uhr

Eröffnung durch Dr. Christoph Mader, Vorstand der Abteilung Kultur
Zur Ausstellung sprechen:
Annemarie Türk, KulturKontakt Austria, Wien
Bart de Baere, S.M.A.K./Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent
 

Die Ausstellung von Milica Tomić in der Galerie im Taxispalais war für das Frühjahr 1999 geplant, musste aber auf Grund des Krieges in Ex-Jugoslawien verschoben werden.

Milica Tomić gehört zu den wenigen serbischen KünstlerInnen, die sich bereits vor Jahren in ihrer künstlerischen Arbeit kritisch mit der politischen Situation im Kosovo und in Serbien auseinandergesetzt haben. Tomić wird "XY ungelöst", eine Arbeit von 1997 zeigen sowie zwei kürzlich fertiggestellte Arbeiten : "I am Milica Tomic" (1998/99) und "Portrait meiner Mutter" (1999).

In ihrer Video-Arbeit "XY ungelöst" (1997), die sie für eine Gruppenausstellung in Belgrad mit dem Titel "Murder 1" (1997) konzipierte, bezog sich Tomić als einzige Künstlerin direkt auf die Anfänge des Krieges in Jugoslawien und auf die Verletzung der Menschenrechte durch die serbische Polizei. In einer symbolischen Nachstellung lässt die Künstlerin jene vierzig Menschen auftreten, die im März 1989 Kosovo von der serbischen Polizei erschossen wurden, als sie gegen die damals be schlossene Wegnahme der Autonomie des Kososovo demonstrierten.
Im Video werden diese Toten durch Personen verkörpert, die alle der künstlerischen Szene Belgrads angehören. Die Parteinahme von Serben für die albanische Bevölkerungsgruppe und die symbolische Identifikation mit deren Angehörigen bedeutete den Bruch eines unausgesprochenen Tabus. Daran zu erinnern, galt als fast "unanständig", "gegen die guten Sitten", weil es an Geschehnisse rührte, die verdrängt werden mussten.
Der Titel "XY ungelöst" (Tomić machte als Kind deutsche TV-Erfahrungen), verweist auf die grundsätzliche Problematik, ein Verbrechen zu rekonstruieren und thematisiert den Zusammenhang von sogenannter Wirklichkeit und Fiktion, die durch die Medien mitproduziert wird.

"I am Milica Tomić" (1998/99) ist eine Video-Arbeit, die auch für das Internet konzipiert wurde und dort im Lauf der nächsten Wochen zugänglich sein wird. Tomić beschäftigt sich mit der Frage ihrer Identität "als Serbin und orthodoxe Christin". Diese politisch und kollektiv verordnete Identität, kann sie nur als eine problematische und gespaltene begreifen. Sie widersetzt sich der Forderung, ein Teil eines "gesunden Volkskörpers" zu sein, und entscheidet sich dafür, öffentlich von der Position der Verletzten zu sprechen, um damit das Trauma offenzulegen, das dieser Identitätskonstruktion zu Grunde liegt. In einer paradoxen Rhetorik leugnet sie öffentlich ihre "Identität", indem sie dem Satz "I am Milica Tomić – I am Serbian" die Behauptung folgen lässt: "I am Milica Tomić – I am Korean" oder "... I am Norwegian" us.w. Tomić zitiert dazu Etienne Balibar: "Jede Gemeinschaft ist imaginär, aber nur imaginäre Gemeinschaften sind real".

"Portrait meiner Mutter" oder "Portrait von M.M." (1999) ist eine Video- und Foto-Arbeit, die Tomić während der Monate des NATO-Bombardements machte. Tomic filmte und fotografierte in den Strassen Belgrads, ohne eine bestimmte Handlung im Auge zu haben. Parallel dazu hören wir Gespräche, die sie mit der Mutter führt. "M.M." (Marija Milutinović) war eine bedeutende Schauspielerin in den fünfziger und sechziger Jahren, die in Avantgardestücken spielte und als eine Repräsentantin der jugoslawischen Moderne galt. Später, zeitlich parallel mit dem Beginn der Krise ethnischer Identitäten in Jugoslawien wandte sie sich völlig der Religion und der Webkunst zu, beides im völligem Gegensatz zu ihrer früheren Haltung. Tomić verschränkt die indviduelle Geschichte ihrer Mutter mit der problematischen Geschichte Serbiens, nicht ohne sich selbst in diesen Konflikt miteinzuschliessen indem sie sich selbst in Konfrontation der Mutter begibt. In einer widersprüchlichen Dialektik kommt sowohl das zur Sprache, wo sich beide Frauen sehr ähnlich sind, als auch das, wo sich Tomić der Haltung der Mutter widersetzt.

Übernahme der Ausstellung durch die Kunsthalle Wien und das Museum voor Moderne Kunst Arnhem, NL
 
  Katalog
Milica Tomić
Hg. Silvia Eiblmayr, Galerie im Taxispalais
Beiträge von Branislava Andjelković & Branislav Dimitrijevi
ć, Silvia Eiblmayr, Rastko Moćnik, Biljana Srbljanović, Branimir Stojanović, Milica Tomić (dt./engl.)
Galerie im Taxispalais, Innsbruck 1999
70 Seiten, 52 Abb.
Preis € 10,20
ISBN 3-9501195-0-7
 
 

Post-Jugoslawien: Kunst / Politik
Samstag, 13. November

Negative Gegenwart – Kunst und Politik
ReferentInnen:
Branko Dimitrijević, Kurator, Belgrad; Georg Schöllhammer, Kunstzeitschrift springerin, Wien; Milica Tomić, Künstlerin; Annemarie Türk, KulturKontakt Austria, Wien; Moderation: Bojana Pejić, Kuratorin, Kunsttheoretikerin, Berlin

Europa und der Zusammenbruch Jugoslawiens
ReferentInnen:
Boris Buden, Kulturpublizist, Zagreb/Wien; Rastko Moćnik, Kulturtheoretiker, Ljubljana; Biljana Srbljanović, Dramatikerin, Belgrad; Branimir Stojanović, Kulturtheoretiker, Belgrad; Moderation: Andreas Pribersky, Politologe, Wien


ReferentInnen
Boris Buden
* 1958, Studium der Philosophie in Zagreb, journalistische u. publizistische Tätigkeit im ehemaligen Jugoslawien, zahlreiche Publikationen in Kroatien u. im Ausland. In Österreich u.a. in Literatur und Kritik u. Werkblatt - Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik, Chefredakteur der Zeitschrift Bastard in Zagreb; lebt seit 1990 in Wien.

Branko Dimitrijević
* 1967, Kunstheoretiker u. Kurator, arbeitet für das Centre for Contemporary Art in Belgrad, wo er z. Zt. ein Seminar für Kunstgeschichte und -theorie aufbaut. Herausgeber von "Pop Vision". Kuratierte zusammen mit Branislava Andjelkovic u.a. die Ausstellungen "Map Room", (1995), "Murder 1" (1997), "Beauty and Terror" (1998) u. "Overground" (1998); lebt in Belgrad.

Rastko Moćnik
lehrt "Theorie des Diskurses und der Wissenschaft vom Menschen" an der Universität Ljubljana; zahlreiche Publikationen, u.a.: "Wieviel Faschismus? - Essays zur postkommunistischen Politik", Zagreb 1998; "Drei Theorien - Ideologie, Nation, Institution", Ljubljana, 1999; "Das 'Subjekt, dem unterstellt wird zu glauben' und die Nation als Null-Institution; in: H. Boeke u.a., Hg., "Denk-Prozesse nach Althusser", Argument, 1994

Bojana Pejić
Kunsttheoretikerin u. Ausstellungskuratorin, u.a.: "After the Wall", z.Zt. im Moderna Museet Stockholm; zahlreiche Texte zur Gegenwartskunst; arbeitet an einer Dissertation zum Thema "Politik der Repräsentation und Repräsentation der Politik in der Öffentlichkeit der SFR Jugoslawien"; stammt aus Belgrad und lebt in Berlin.

Dr. Andreas Pribersky
* 1957, Politologe, 1990-96 Leiter der Aussenstelle Budapest, seit 1997 Leiter der Sozialwissenschaftlichen Abteilung des Österreichischen Ost- und Südosteuropa Instituts, Lektor an
den Universitäten Innsbruck und Wien; zahlreiche Publikationen, u.a.: A. Pribersky / B. Unfried (Hg.): "Symbole und Rituale des Politischen. Ost- und Westeuropa im Vergleich", 1999; lebt in Wien.

Georg Schöllhammer
* 1958, Kunstheoretiker, Redakteur (V.i.S.d.P.) von springerin Hefte für Gegenwartskunst; 1992-97 Gastprofessur an der HS für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz; 1998 Leitung des internationalen Medien-Kunst-Projekts "Translocation", u.d. gleichnamigen Ausstellung
in der Generali Foundation, Wien; zahlreiche Publikationen zu Kunst und Architektur; lebt in Wien.

Biljana Srbljanović
* 1970, Dramatikerin; Stücke: "Belgrader Trilogie", 1997, "Familiengeschichten. Belgrad", 1998, "Der Sturz", 1999, lebt in Belgrad.

Branimir Stojanović
* 1958, Studium der Philosophie an der Universität Belgrad, seit 1980 zahlreiche Publikationen zur Philosophie des 20. Jahrhunderts und zu Theorien der Psychoanalyse; lebt in Belgrad.

Milica Tomić
* 1960, Kunststudium an der Universität für bildende Künste in Belgrad, 1990 Diplom; seit 1988 zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland; u.a.: "Zonen der Ver-Störung", steirischer herbst 97, Graz, 1997, Biennale Sao Paolo, 1998; lebt in Belgrad.

Annemarie Türk
Seit 1992 bei KulturKontakt Austria, seit 1995 Bereichsleitung Kulturförderung und Sponsoring; lebt in Wien

 
Galerie im Taxispalais Maria-Theresien-Str. 45 A-6020 Innsbruck
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr LeseRAUM: Di-Sa 11-18, Do 11-20 Uhr
T +43/512/508-3172, -3173 F 508-3175 taxis.galerie@tirol.gv.at