Wiebke Grösch & Frank Metzger (D)
nach olympia 2000
Installation, 8 Modelle aus Spanplatten, Farbfolien, Glas, 89 Fotografien, Video,
Folienschrift an der Wand, Videoprojektion auf Fotografie, Ordner mit Dokumentationen,
Text
nach olympia
"A miniature world was here set up by itself, rigidly protected from
the world outside."
(In etwa: "Hier wurde aus sich heraus eine Miniaturwelt geschaffen, die
streng vor der Außenwelt geschützt war.") Dieses Zitat stammt
aus dem Abschlussbericht der Sommerolympiade 1932 in Los Angeles, anläßlich
derer erstmals ein olympisches Dorf errichtet wurde. Die OrganisatorInnen verbanden
mit der Errichtung, neben praktischen Gründen wie der kostengünstigen
Unterbringung der SportlerInnen, auch die idealistische Hoffnung hier einen
Ort zu schaffen, an dem sich Menschen frei von nationalen und kulturellen Grenzen
kennenlernen und (für einen begrenzten Zeitraum) miteinander leben können,
sozusagen als Beispiel einer multikulturellen Gesellschaft. Das olympische Dorf
in Los Angeles wurde ein voller Erfolg, so dass auch bei den folgenden Olympiaden,
insofern es möglich und nötig war, olympische Dörfer gebaut wurden
bzw. werden. Der Bau und die Planung olympischer Dörfer geschieht immer
im Spannungsfeld der aktuellen städtebaulichen und architektonischen Utopien,
der Finanzierbarkeit und der lokalen Bedürfnisse im Sinne der nacholympischen
Nutzung bspw. im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Die OrganisatorInnen haben
den Anspruch vorbildliche, repräsentative Quartiere zu schaffen, die auch
nach den Spielen ihren Zweck erfüllen. Doch dem Bild von der heilen Miniaturwelt
steht einerseits immer der hohe organisatorische und sicherheitstechnische Aufwand
gegenüber, der während der Spiele betrieben wird um Störungen
von außen fernzuhalten, andererseits müssen sich die olympischen
Dörfer in der nacholympischen Nutzung bewähren. Was bleibt dann übrig
von den olympischen Utopien?
Innsbruck
In Innsbruck haben zweimal olympische Winterspiele stattgefunden: 1964 und 1976.
Beide olympischen Dörfer liegen direkt nebeneinander, so daß man
in der Stadt nicht unterscheidet und nur von einem "O-Dorf" spricht.
Es liegt eher ungünstig, durch den Inn vom Rest der Stadt getrennt und
umgeben von Gewerbegebieten, am östlichen Stadtrand Innsbrucks. Eine große
Straßenbrücke stellt die Hauptverbindung zu den anderen Stadtteilen
her. Innerhalb der Stadt hat das olympische Dorf eher einen schlechten Ruf,
was auch an der ungünstigen Lage liegt, die verhindert, dass vorhandene
Vorurteile korrigiert werden könnten. Dabei ist die Anbindung des olympischen
Dorfes mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut, die Busse der Linie O fahren
sehr oft; es sind mehrere Haltestellen über das Dorf verteilt.
Der Teil des "O-Dorfes" von 1964 bestand ursprünglich aus acht
10-geschossigen Blöcken. Nach den Spielen wurden im Rahmen des sozialen
Wohnungsbaus weitere Gebäude ähnlicher Bauart hinzugefügt. Vor
einigen Jahren haben sie neue verschiedenfarbige Fassadenverkleidungen erhalten.
Die Gebäude von 1976 stehen direkt an der Innpromenade. Sie haben zum Ufer
hin stufig abfallende Geschosszahlen, eine bronzefarbene Fassade und für
die 70er Jahre typische orangene Markisen. Zwischen den Häuserzeilen befinden
sich überdachte Parkplätze. Diese Überdachungen sind begrünt
und werden bevorzugt von Kindern und Jugendlichen genutzt, da die hohen Gebüsche
einen gewissen Sichtschutz bieten.
Angesichts der allgegenwärtigen Fensterfronten fühlt man sich stets
beobachtet. Bezeichnenderweise hat jemand in seinem aufwendig gestalteten Garten
am Rande des olympischen Dorfes ein Schild mit der Aufschrift "Gott sieht
alles, Nachbarn sehen mehr" aufgestellt.
Die zahlreichen Grünanlagen, vor allem die Innpromenade, sind beliebt.
Bei gutem Wetter herrscht reger Betrieb. Dort trifft man auch regelmäßig
zwei MitarbeiterInnen eines privaten Sicherheitsdienstes, die ausgerüstet
mit Funkgerät, Taschenlampe und Schlagstock und in Begleitung eines Schäferhundes
ihre Runden machen. Sie kontrollieren unter anderem die öffentlichen Toiletten,
und sind darauf bedacht, dass Rad- und RollschuhfahrerInnen die ihnen zugewiesenen
Wege benutzen. Innerhalb des Dorfes haben wir sie jedoch nicht gesehen.
Die Wohnqualität des olympischen Dorfes ist hoch, die Wohnungen sind gut
geschnitten und preiswert. (Sie werden nach einem Punktesystem vergeben.) Die
olympischen Spiele spielen für die BewohnerInnen keinerlei Rolle mehr;
außer einem Denkmal mit den olympischen Ringen erinnert eigentlich nichts
mehr an die anfängliche Nutzung des Viertels.
Eine dritte Bewerbung Innsbrucks um die Austragung olympischer Winterspiele
wurde von den BürgerInnen der Stadt vor einigen Jahren abgelehnt, weil
man gegen den Bau eines weiteren olympischen Dorfes war.
Grenoble
Das olympische Dorf der Winterspiele 1968 in Grenoble liegt im Süden der
Stadt, eingebettet in eine Anzahl neuerer Wohnblock- und Hochhausansammlungen,
die das Zentrum der Stadt umgeben. Es wurde vom selben Architekt entworfen/geplant,
der auch das Rathaus der Stadt, ein Hochhaus im Stil Mies van der Rohes, gebaut
hat.
Nach drei Seiten hin ist das olympische Dorf von 4-spurigen Straßen begrenzt,
über die zum Teil Fußgängerbrücken führen. Da innerhalb
des Dorfes Autoverkehr nicht erlaubt ist, stehen für die BewohnerInnen
zwei große durch Bäume beschattete Parkplätze zur Verfügung.
Dies ist neben der Tatsache, dass es innerhalb des Dorfes kaum Läden oder
ähnliche Angebote (vielleicht von Schulen abgesehen) gibt, die Ursache
dafür, dass sich kaum Menschen aus anderen Stadtteilen hier aufhalten.
Die BewohnerInnen sind vor allem MigrantInnen aus Nordafrika, Marokko, sowie sozial Schwache. Wir wissen nicht welchen Ruf das Dorf innerhalb der Stadt hat.
n seinem Inneren besteht das olympische Dorf aus kleineren 4-5geschossigen Zeilenbauten, die in regelmäßigen Abständen mit Durchgängen versehen sind. Um diesen Kern stehen etwa acht 20geschossige Hochhäuser. Im südlichenTeil des Dorfes befinden sich 10 Wohnblocks, die als StudentInnenwohnungen dienen und in denen während der Spiele die SportlerInnen untergebracht waren, erstaunlicherweise trägt jedes Haus noch immer das Schild mit dem Namen des Landes aus dem die SportlerInnen kamen, die es bewohnt haben. Das "deutsche" Haus steht leer, die Fenster sind zerschlagen, die Türe verbarrikadiert.
Besonders auffallend ist auch, daß am "österreichischen" Haus, das es laut eines Wegweisers geben soll, das Schild offensichtlich entfernt wurde. Dies geschah aus Protest gegen die FPÖ/ÖVP-Regierung in Österreich, zumal Grenoble die langjährige Städtepartnerschaft zu Innsbruck infolge des Regierungswechsels beendet hat. Die Wohnanlage steht auf einem vom übrigen Dorf durch einen neuen 2 Meter hohen Zaun abgetrennten Gelände. So wird das auch 1968 während der Spiele gewesen sein. Tagsüber sind die Türen offen, nachts kommt man nur mit einer Chipkarte hinein.
nsgesamt macht das Dorf einen vernachlässigten Eindruck. Einige Häuser werden jedoch renoviert. Wir werden kritisch beobachtet, fallen als Eindringlinge auf.
Einige Leute fragen uns was/warum wir fotografieren, hier
gäbe es doch nichts Interessantes. An den Gebäuden fällt die
Verkleidung der Balkone mit dunklen Holzpaneelen auf; es sieht aus wie bei Berghütten,
vor allem wenn die Balkone mit Blumenkästen dekoriert sind. Alle Fenster
und Balkone lassen sich mit einem System aus Metalljalousien verschließen
und an fast allen Häusern sind große Scheinwerfer angebracht, mit
denen nachts alle öffentlichen Flächen ausgeleuchtet werden. Sicherheitsdienste
oder Polizei haben wir nicht gesehen.
Berlin
Das olympische Dorf von 1936 liegt ca. 40 km westlich vom Berliner Stadtzentrum
zwischen den kleinen Orten Elstal und Döberitz. Von Spandau aus mit der
Regionalbahn bis Wustermark, dann weiter mit dem Bus. Der Bus bis zum olympischen
Dorf und dem angrenzenden Wohngebiet "Eulenspiegelsiedlung" fährt
nur stündlich. In Kiefernwäldern stehen zu Wohnblocks umgebaute ehemalige
deutsche/sowjetische Kasernen, mit orangefarbenen Fassaden. So als wollte man
das ursprüngliche Grau so vehement wie möglich vertreiben. In der
Eulenspiegelsiedlung gibt es nicht einmal einen Laden, manche Häuser sind
noch nicht bezogen. Die Eulenspiegelsiedlung und das olympische Dorf dienten
den Nazis als Kasernen.
Das Betreten des olympischen Dorfes ist eigentlich verboten, es ist eingezäunt, Schilder weisen auf Gefahren durch Minen und baufällige Gebäude hin. Ein Verein in der Gemeinde Elstal veranstaltet jedoch gelegentlich Führungen durch das Dorf.
Durch einen Zufall fanden am Tag unseres Besuchs auf dem
Gelände des olympischen Dorfes Dreharbeiten für einen Krimi statt.
Eines der Tore war geöffnet, um die Fahrzeuge der Filmproduktion auf dem
Gelände zu parken, so dass wir die Gelegenheit nutzten um ins olympische
Dorf zu kommen. Der größte Teil des Dorfes, das nach den Spielen
von den Nazis als Kaserne genutzt wurde, steht nicht mehr. Die Sowjetarmee behielt
zwar die militärische Nutzung bei, riss aber die meisten Baracken ab, um
größere Gebäude zu errichten. Seit dem Abzug der sowjetischen
Truppen 1992 stehen sie leer und werden momentan für eine Sanierung vorbereitet.
Aus fast allen Gebäuden wurden die Fenster und Türen entfernt, so
dass nur noch die Skelette der Häuser übrig sind. Vom ursprünglichen
Dorf stehen noch zwei Gemeinschaftshäuser, mehrere Wohnbaracken (kleine
eingeschossige Gebäude), sowie zwei Sporthallen (eine Box- und eine Schwimmhalle,
die jedoch nach einer Brandstiftung schwer beschädigt ist) und ein Sportplatz.
Auf das sehr weitläufige Gelände ist in den letzten Jahren die Natur
"zurückgekehrt", auf den Wiesen zwischen den Häusern grasen
Rehe.
München
Das olympische Dorf in München, errichtet zu den Sommerspielen 1972, ist
ein komplexes Gebilde. Nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum und direkt neben
dem Olympiastadion gelegen, erreicht man es mit einer U-Bahn-Linie, die dort
ihre Endstation hat. Es macht den Eindruck einer autarken urbanen Einheit, die
auch ohne die restliche Stadt existieren bzw. funktionieren könnte. Durch
die eigentümliche Dichte des Dorfes, die einerseits aus der engen Gruppierung
der Gebäude, andererseits der extremen Durchgestaltung des öffentlichen
Raumes resultiert, wird eine moderne Variante einer mittelalterlichen Stadt
geschaffen, die vielen Menschen immer noch als Idealbild des Urbanismus gilt.
Von der U-Bahn aus erreicht man, von einem Leitsystem aus
bunten Röhren geführt, hinter einem breiten Hochhausriegel eine Art
Hauptplatz, an dem sich zahlreiche Geschäfte und Lokale befinden. Von diesem
Platz aus verzweigt sich das Dorf in verschiedene "Arme". Entlang
dieser Arme befinden sich lange Zeilen mit 8- bis 10geschossigen Häusern,
die nach Süden hin mit terrassenartig angelegten Balkonen ausgestattet
sind, die fast alle bepflanzt sind. Von den Armen führen wiederum kleinere
Wege über Treppen und Rampen zu weiteren Teilen des olympischen Dorfes.
Zwischen den Armen befinden sich verschiedene Bauten, wie Schule, Kindergarten
und ein ökumenisches Gemeindezentrum, sowie im weiteren Verlauf kleinere
Einfamilien-Reihenhäuser und Grünflächen. Der Autoverkehr ist
in die Tiefebene verlegt, die BewohnerInnen können ihre Fahrzeuge direkt
unter ihrem Haus abstellen.
Der Wohnraum ist aufgeteilt in Eigentumswohnungen, StudentInnenapartements,
Sozialwohnungen und Hotels. Die Mieten und Preise für Wohnungen im olympischen
Dorf sind auf dem freien Wohnungsmarkt hoch. Im ehemaligen Frauendorf im Süden
des olympischen Dorfes sind heute StudentInnen untergebracht. Die zweigeschossigen
Beton-Module sind zu langen Zeilen aneinandergefügt und werden von ihren
BewohnerInnen von außen farbig gestaltet.
Wiebke Grösch & Frank Metzger
Vielen Dank an Harry Kleinheinz für die Informationen über das olympische Dorf Innsbruck, sowie Herrn Dr. Morscher und seinen MitarbeiterInnen vom Stadtarchiv Innsbruck.