riccione - architekten (Bortolotti, Cede, Ramoni) (A)
Das "Arbeitserziehungslager Reichenau"
Die Errichtung des Lagers
Während des Krieges wurden in Tirol Tausende Kriegsgefangene und FremdarbeiterInnen
als Arbeitssklaven eingesetzt.
Wegen der miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen kam es wiederholt zu Widersetzlichkeiten
und Fluchtversuchen. Als eine ständig wachsende Anzahl italienischer Zivilarbeiter
aus Tirol und anderen Gebieten des deutschen Reiches auf Grund der schlechten
Behandlung und aus Angst vor Bombenangriffen in ihre Heimat zurückzukehren
versucht, erhielt im Sommer1941 der spätere Lagerleiter, SA-Hauptsturmführer
und SS-Obersturmführer Georg Mott, vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin
den Auftrag, in der Reichenau bei Innsbruck ein Auffanglager "für
besonders störrige oder arbeitsflüchtige Italiener" zu errichten.
Ein Ausstieg aus dem Arbeitsvertrag war den Italienern untersagt. Ende 1941/
Anfang 1942 wurde das für 500 bis 1000 Menschen konzipierte "Arbeitserziehungslager
Reichenau", das der geheimen Staatspolizei unterstand und von rund 30 Gestapo-
Angehörigen bzw. dienstverpflichteten Polizisten und Gendarmen bewacht
war, in Betrieb genommen.
Die von der Innsbrucker Gestapo-Leitstelle verhängte "Arbeitserziehungshaft"
überschritt je nach Bedarf die für vier bis acht Wochen vorgesehene
Dauer. Trat keine merkbare "Besserung" ein, wurde der Antrag zur Überweisung
in ein Konzentrationslager gestellt. Die Lebensbedingungen in den "Arbeitserziehungslagern"
standen jenen der Konzentrationslager in punkto Brutalität kaum nach.
Die Häftlinge
Die Zahl der Inhaftierten schwankte zwischen 100 und 800 Häftlingen,
die Normalbelegschaft lag bei 500 Menschen. Obwohl das "Arbeitserziehungslager
ein Männerlager war, wurden auch immer wieder Frauen eingeliefert. Allein
die Innsbrucker Polizeidirektion überstellte mindestens 361 Frauen.
Bis zum Sommer 1942 erfüllte das Lager sehr erfolgreich seine ursprüngliche
Bestimmung, flüchtige italienische Zivilarbeiter aufzunehmen, um ihnen
nach entsprechender "Umerziehung" wieder einen Arbeitsplatz im Gau
Tirol-Vorarlberg zuzuweisen.
Danach änderte sich die Aufgabenstellung: Es war nun in erster Linie für
die Aufnahme "arbeitsunwilliger" ausländischer ZwangsarbeiterInnen
und Tiroler ArbeiterInnen zuständig. 1943 kamen auch jüdische Flüchtlinge
ins Reichenauer Lager.
Im Frühjahr 1943 ließ der Gestapo- Chef von Tirol in Eigenregie die
bis dahin "geschützten" jüdischen EhepartnerInnen aus "Mischehen"
verhaften und nach Reichenau bringen; davon wurden vier Frauen von hier nach
Auschwitz deportiert. Für fast alle Südtiroler Juden und Jüdinnen
war das Lager Reichenau, in dem mindestens zwei von ihnen verstarben, monatelange
Zwischenstation auf dem ins Vernichtungslager Auschwitz.
Exponierte Südtiroler, die 1939 nicht für die Annahme der deutschen
Staatsbürgerschaft optierten, sowie Kriminelle und politische Gefangene,
darunter eine bedeutende Anzahl slowenischer Kommunisten, waren weitere Häftlingskategorien,
die angesichts überfüllter Gefängnisse ins "Arbeitserziehungslager
Reichenau" eingeliefert wurden.
Die Funktion des Lagers
Die "erzieherische" Funktion des "Arbeitserziehungslagers"
bestand also darin, unangepaßte in- und ausländische Arbeitskräfte
mittels schwerster körperlicher Arbeit und brutalster Behandlung zu disziplinieren,
um Gehorsam und Produktivität wieder sicherzustellen. Gleichzeitig hatte
das Lager durch die Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge eine ausgeprägt
ökonomische Funktion.Die Insassen, die vor allem an Innsbrucker Betriebe
jeder Größenordnung , aber auch an die Stadt Innsbruck billig vermietet
wurden, arbeiteten fast ausschließlich außerhalb des Lagers, bevorzugt
auf Baustellen. Das Lager war sehr bekannt, weil die Gefangenen ganz offen im
Stadtgebiet eingesetzt wurden. Die Häftlinge waren hauptsächlich in
der Schottergewinnung aus dem Inn und vor allem beim Bau der Oberleitungen für
die Buslinien tätig, der 1943 in ganz Innsbruck bis hinauf nach Hötting,
Mühlau, Arzl usw. in Angriff genommen wurde.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen
Der Umgang vieler Aufseher mit den Gefangenen war äußerst roh.
Häufig wurde auch das sogenannte "Kaltbaden" praktiziert, wobei
man die Häftlinge speziell im Winter mit einem kalten Wasserstrahl, vorzugsweise
auf die Genitalien gerichtet, anspritzte, bis sie blau wurden. Danach sperrte
man sie bei Minusgraden in den Bunker, der eine umgebaute Waschbaracke mit mindestens
vier Arrestzellen war. Zahlreiche Gefangene, darunter auch Minderjährige,
gingen so elendiglich zugrunde. Als Todesursache wurde dann etwa "Lungenentzündung"
angegeben. Im "Arbeitslager Reichenau" verstarben reihenweise an Erfrierungen,
Hunger, Erschöpfung, Folter und Mißhandlungen. Ferner kam es auch
zu Exekutionen. So wurden einige Mitglieder einer aus polnischen Zwangsarbeitern
bestehende Widerstandsgruppe im Lager hingerichtet.
Horst Schreiber, Bozen - Innsbruck. Zeitgeschichtliche Stadtrundgänge, Hrsg. Gabriele Rath, Andrea Sommerbauer und Martha Verdorfer, Innsbruck 2000