Anne Tallentire (IRL)
Inscribe I 1994/2000
Video, 2-teilig, Monitore, Farbe, Ton
Monitor 1: Square Mile, London, Sonntag morgen, 12 min
Monitor 2: Dublin und London, 12 min
"Inscribe I" vernetzt die Städte London und Dublin mittels digitalem Transfer von Videoaufnahmen
Instances 1999
Video, Farbe, Ton, 30 min
DVD-Player, Lautsprecher
"Inscribe I" war eine Performance und Videoarbeit, die im Zentrum
Londons vorgeführt und live über ein ISDN-Videotelefons zu einem Raum
an der Nordseite Dublins übertragen wurde. Der Ausstellungsort an Dubliner
North Frederick St. war weder eine Galerie noch ein Kunstzentrum, sondern ein
'neuer’ Techologie-Schauraum für Geschäftskunden von Telecom Eireann.
Inscribe I wurde auf einem Bildschirm und über eine Videoprojektion gezeigt.
Es gab drei verschiedene Gruppen von Bildern; Nahaufnahmen von Tallentires Gesicht
und Händen, die wiederholte Bearbeitung eines mit eingetanzten Buchstaben
versehenen Stückes Kupferblechs mit einem trockenen Malinstrument und einer
Polierfeile und Aufnahmen von Fahrten durch Londoner Straßen.
Innerhalb dieser einst neuen Kommunikationswege der Betriebswelt trat Tallentire wie eine Videokonferenz-Übersetzerin auf. Ihre Stimme, ihre Gesten und ihre Bearbeitung von Handlungen und Signalaufnahmen schufen eine Art teleologische Übersetzung, wo die Präsenz des Anderen sich in der Umgebung der Rezeption spürbar machte.
Inscribe I ging besonders interventionistisch mit der Kommunikationstechnologie der Betriebswelt vor, es war auch ein Werk mit performativen und proaktiven Zügen. Die Arbeit wurde nicht durch den Text des Schauraum-Displays definiert, sondern wurde durch die spezifischen Werte des Künstlers/Vermittlers stark geprägt.
Die Videoaufnahmen des entvölkerten Handelszentrums von London in Inscribe I fügte diesem Bild Spuren der Betriebskommunikation hinzu, die sich nicht vom Videotelefon löschen ließen. Diese Bilder hatte auch dünklere Konnotationen und Botschaften angesichts der geopolitischen Bedeutung des Finanzzentrums von Londons, das einst das Hauptziel des IRA war, und der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen in diesem Viertel seit dem Bombenanschlag von Bishop’s Gate im Jahre 1992.
Inscribe I stützte sich mehr auf ontologische Konstruktionen und weniger auf erzählerische Momente und filmische Mittel. Diese ontologische Ausrichtung ist vor allem mit der Idee verbunden, dass Performance in einem Sinne sich der Bedeutungsgebung widersetzt und, laut Josette Féral, zu "einer Art entterritorialisierter Gestualität" wird.
"Instances", Anne Tallentires neue Arbeit für die Biennale in
Venedig, setzt viele der in diesem Aufsatz behandelten Themen fort. Die Entterritorialisierung
der Nacht, mit dem Bild des sich wiederholenden Himmels in der Dämmerung,
die Materialität des Aufnahmegerätes mit der Blende der Videokamera
im Vordergrund und Grenzen und Erkenntnisse, die in der politischen Geografie
der Himmel unsichtbar und ungeschrieben sind (man denke an die Dämmerung
in Belgrad und die Zonen mit Flugverbot). Maurice Blanchot beschrieb das Tageslicht
als etwas, das darin besteht, dass es nicht zu verschwinden vermag. In früheren
Aufsätzen habe ich im Zusammenhang mit dem Licht und der Ontologie von
Willie Dohertys Fotografien aus dieser Passage zitiert. Nun scheint sich diese
Passage auf geradezu unheimliche Weise auf die Diskussion von Absenz und Präsenz
in Anne Tallentires Werk zu beziehen. Das vollständige Zitat lautet wie
folgt:
"Doch wenn wir den Tag Rechenschaft ablegen lassen, wenn wir den Punkt erreichen, wo wir ihn wegschieben, um herauszufinden, was dem Tage vorangeht, so entdecken wir darunter, dass der Tat bereits vorhanden ist, und was dem Tage vorangeht immer noch Tag ist, doch in der Gestalt eines Unvermögens, zu verschwinden, nicht das Vermögen, etwas erscheinen zu lassen. Es ist die Dunkelheit der Notwendigkeit, nicht das Licht der Freiheit. Die Natur dessen, was dem Tage vorangeht, der Existenz vor der Dämmerung, ist also die Dunkelseite des Tages, und jene Dunkelseite ist nicht das unaufgedeckte Rätsel von dessen Beginn, sondern dessen unumgängliche Präsenz die Aussage ‘es gibt keinen Tag’ verschmilzt mit der Aussage ‘es ist bereits Tag’, wobei das Erscheinen des Tages mit dem Augenblick, in dem er noch nicht erschienen ist, zusammenfällt."