NICOLE SIX UND PAUL PETRITSCH
Raum für 17 Minuten
Anlässlich des 32. Österreichischen Grafikwettbewerbs führt die Galerie im Taxispalais ein neues Ausstellungsformat ein, das in Zukunft beibehalten werden soll. Den HauptpreisträgerInnen des letzten Wettbewerbs wird eine eigene Ausstellung gewidmet, um die prämierten Werke im Kontext ihres künstlerischen Oeuvres zu zeigen.
2009 erhielt das Künstlerduo Nicole Six und Paul Petritsch den Hauptpreis des 31. Österreichischen Grafikwettbewerbs für ihre aus drei digitalen Zeichnungen bestehende Serie Ohne Titel (Südpol), 2007. Diese Werkgruppe wird in der Ausstellung durch die Blattfolge Ohne Titel (Nordpol), 2007 sowie durch das Video Nebel, 2007 vervollständigt. Die sechs Zeichnungen zu Nord- und Südpol bestehen jeweils aus nur einer einzigen, zarten Linie, die in unterschiedlichen Längen und Windungen auf das weiße Papier gesetzt ist. Sie geben maßstabsgleich die individuellen Routen der ersten Polfahrer wieder. Trotz des minimalen Einsatzes grafischer Mittel eröffnen sie eindringliche Assoziationen an weiße Polarlandschaften und lassen den Wettlauf zu den Polen, bei dem es um Leben und Tod, aber auch um Ehre und Ruhm ging, bildlich werden. Grundlage der Zeichnungen sind Reiseberichte der Expeditionsleiter Julius Payer (Expeditionskommandant zu Lande der Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition 1872-1874), Fridtjof Nansen, Salomon August Andrée (Nordpol) und Ernest Henry Shackleton, Roald Amundsen und Robert Falcon Scott (Südpol), die mit unterschiedlicher Ausrüstung und unter Einsatz neuester Technologien, aber auch mit völlig unzureichendem Wissen um die klimatischen Bedingungen mutig auf Entdeckungsreisen ans Ende der Erde gingen. Six und Petritsch stellen den Zeichnungen das Video Nebel zur Seite, das eine Person zeigt, die im dichten Dunst herumirrt und versucht, sich zu orientieren. Immer wieder beschreiben Polarreisende das so genannte „Whiteout“, bei dem man durch diffuses Licht, das aus allen Richtungen kommt, in einer gleichförmigen weißen Wüste vollkommen die Orientierung verliert und das der anfänglichen Euphorie höchste Ernüchterung entgegensetzt, ja auch zum Tode führt, wie bei den Expeditionsteilnehmern von Salomon August Andrée, die mit einem Gasballon 1897 starteten und deren Fotos erst 1930 gefunden wurden. Das Video ist jedoch nicht nur in diesem historischen Kontext lesbar, sondern kann auch als allgemeine Metapher für die Orientierung des Menschen in Zeit und Raum interpretiert werden.
Während des Ausstellungsaufbaus in der Galerie im Taxispalais entsteht die neue performative Arbeit Raum für 17 Minuten, die der Ausstellung den Titel gibt und den Mittelpunkt der Präsentation bildet. Sie fügt sich nahtlos ein in das konsequente, konzeptuell angelegte Oeuvre von Nicole Six und Paul Petritsch, in dem sie existenzielle Situationen performativ ausloten. Gedanklicher Ausgangspunkt bildet der amerikanische Kurzfilm Film (1965) nach dem Drehbuch von Samuel Beckett, bei dem die beobachtende Kamera als Akteur in den Film miteinbezogen ist und mit den Perspektiven von Beobachter und Beobachtetem spielt. Die Unausweichlichkeit der Selbstwahrnehmung und die Tatsache, dass man dem eigenen Dasein nicht entfliehen kann, übersetzt das Künstlerduo in eine filmische Situation.
Nicole Six (*1971 in Vöcklabruck), Paul Petritsch (*1968 in Friesach), leben in Wien und arbeiten seit 1997 zusammen. Einzelausstellungen: 2010 Atlas, Secession, Wien; 2007 I’m too tired to tell you, Agentur, Amsterdam; 2006 Nicole Six und Paul Petritsch, Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen; Longitude / Latitude, haaaach, Klagenfurt. Gruppenausstellungen (Auswahl): 2011 Proposals For Venice, Landesgalerie Linz; 2010 Blind Date, Kunstverein Hannover; Heimat/Domovina, Museum Moderner Kunst Klagenfurt; 2009 Reading the City, ev+a 2009, Limerick .
Ferdinand Kriwet
Eröffnung
Freitag, 16. September 2011, 19 Uhr
Zur Ausstellung sprechen
Dr. Beate Palfrader, Landesrätin für Bildung und Kultur des Landes Tirol
Dr. Beate Ermacora, Direktorin, Galerie im Taxispalais
Publikation
Text (Germ./Engl.) by Eva Maria Stadler