Mobilien | Movables
2. April 6. Juni 2004

 
english

Erzèn Shkololli, "Bed", 1999. Foto: Rainer Iglar

Tamara Grcic, "Travelling bags", 1999. Foto: Rainer Iglar

Jimmie Durham, "The Petrified Forest", 2001/2004. Foto: Rainer Iglar
 
 

KünstlerInnen
Olga Chernysheva (RU), Jimmie Durham (USA), Tamara Grcic (D), Renée Green (USA), Seth Price (USA), Erzèn Shkololli (Kosovo)

 
  Eröffnung
Donnerstag, 1. April 2004, 19 Uhr

Eröffnung durch LR Dr. Elisabeth Zanon, Kulturreferentin des Landes Tirol
Zur Ausstellung spricht Dr. Silvia Eiblmayr
 

"Mobilien" sind transportierbare, bewegliche Gegenstände, meist dem Bereich der Inneneinrichtung zugehörig, die über die alltägliche Form ihrer Nutzung hinaus mit Geschichte behaftet sind. Die "Mobilien", die diese Ausstellung versammelt, wurden von sechs international renommierten KünstlerInnen – Olga Chernysheva, Jimmie Durham, Tamara Grcic, Renée Green, Seth Price und Erzèn Shkololli – künstlerisch transformiert. Sie loten die Beziehung zwischen einem Alltagsgegenstand und dessen narrativem Potenzial als Speicher von Erinnerungen aus. Die künstlerischen Objekte werden so zu Behältnissen einer abwesenden politischen und sozialen Wirklichkeit, die durch die Materialität der Objekte symbolische Präsenz erlangt.

In einem subtilen Gleichgewicht zwischen Zeigen und Verbergen schließen diese "Mobilien" Aspekte des Transitorischen und des abwesenden Anderen ebenso ein wie die Wiederkehr eines verinnerlichten Traumas. Ein Stuhl, eine Tasche, ein Bett, ein Foto eines Teppichs, ein Kinderspielgerät, ein Büroschrank gewinnen auf diese Weise allegorische Qualität und eröffnen dadurch neue Bedeutungen und Sichtweisen auf die Vergangenheit wie auf die Gegenwart. Triviale Gegenstände, die jedem vertraut sind, werden so zum Auslöser für eine Wahrnehmung, die eine emotionale und zugleich reflektierte Sicht eröffnet auf eine spezifische (politische) Situation bzw. Geschichte, die ansonsten unbemerkt geblieben wäre.

"Membranes" (2001) von Olga Chernysheva besteht aus acht Farbfotografien von Orientteppichen, deren Maßen sie entsprechen. Sie beziehen sich auf den russischen Brauch, demzufolge Wohnungen mit einem oder mehreren Wandteppichen als Statussymbol ausgeschmückt werden. Aufgrund der Wirtschaftskrise während der 1990er Jahre im postkommunistischen Russland sahen sich viele gezwungen, ihre Teppiche zu verkaufen. Die Arbeiten von Chernysheva verweisen somit auf ein charakteristisches Alltagsobjekt, das – in Fotopapier transformiert – einen materiellen und symbolischen Verlust anzeigt, in dem sich die aktuelle politische und soziale Wirklichkeit verdichtet.

In "Travelling Bags" (1999) von Tamara Grcic gewinnen sieben identische, schwarze Nylonreisetaschen, wie sie in billigen Geschäften erhältlich sind, skulpturale und emotionale Präsenz. Die Reißverschlüsse der Taschen stehen offen und geben die Sicht frei auf ordentlich zusammengefaltete Kleidungsstücke – Hüllen nicht anwesender Menschen, die offenkundig unterwegs sind. Aus dem räumlichen und zeitlichen Kontinuum des Alltags herausgelöst, werden diese Taschen zum Bild für die weltweite Migrationsbewegung, von der Millionen von Menschen betroffen sind.

Ein auf den ersten Blick herrschaftliches Interieur wird in der Installation der afroamerkanischen Künstlerin Renée Green zum Ausgangspunkt ihrer kritischen Inszenierung und Infragestellung rassistisch-sozialer Rollenmuster. "Mise-en Scène: Commemorative Toile", deren erste Version 1992 zu sehen war, besteht aus einer Gruppe von Stilmöbeln, deren Polster mit einem von der Künstlerin entworfenen Stoff bezogen sind, wobei Green für dessen Motive historische Darstellungen verwendete. Das Muster, das sich auch auf der zu dem Ensemble gehörenden Wandtapete wieder findet, zeigt jedoch keine pastorale Idylle, wie man sie in einem herrschaftlichen Interieur von 1800 erwarten würde. Vielmehr sind bizarre wie grausame historische Szenen aus dem haitianischen Sklavenaufstand von 1804 zu sehen.

"Bed" (1999) von Erzèn Shkololli verknüpft die muslimische Kultur des Kosovo mit seiner Obsession für den Tod. Bis ins kleinste Detail – die glänzenden Stoffe, die prachtvollen Stickereien – ist dieses Bett gestaltet, das Shkololli wie eine altarartige Erscheinung mitten in den Raum stellt. Shkololli, schreibt der in Pristina lebende Autor Migjen Kelmendi, "hat die seltene Gabe, gewöhnlichen Dingen die Alltäglichkeit zu nehmen". Aufgeladen durch die jüngsten historischen Geschehnisse im Kosovo wird Bed wird zu einer Allegorie des Todes, die zugleich auf den Frieden verweist.

Ausgangsmaterial von "Modern Suite" (2002) sind Aufnahmen aus Warenkatalogen im Internet, die industriell gefertigte Kinderspielgeräte für Spielplätze im Freien anbieten. Der in Ost-Jerusalem geborene und in New York lebende Seth Price setzte diese statischen, bereits digitalisierten Bilder zu einem Video zusammen. Verstärkt durch die Musik erhalten die ohne Kinder abgebildeten Spielgeräte etwas Bedrohlich-Melancholisches. Was Price hier offenbar werden lässt, sind Architektur gewordene, kitschige und manchmal verstiegene Erwachsenen-Fantasien über die Räume für Kinder.

Jimmie Durham schließlich hat seine Installation "The Petrified Forest" (2001/2004) speziell auf die architektonischen Gegebenheiten der Halle im Untergeschoß abgestimmt. Sein "versteinerter Wald" wird von Büromöbeln wie Schränken und Schreibtischen sowie Bürogeräten, Computern, Faxgeräten, Lampen u. a. gebildet. Durham hat sie mit grobem Zement zugeschüttet, sodass sie wie nach einem Erdrutsch nur teilweise sichtbar sind. Das Publikum wird auf schmalen Pfaden durch diesen "versteinerten Wald" geführt, der sowohl befremdliche Katastrophenstimmung hervorruft als auch ein Gefühl von anarchischer Befreiung aus dem verwalteten Alltagsleben auslöst.

 
 

Vortrag
Migjen Kelmendi
Freitag, 7. Mai 2004, 18 Uhr

Migjen Kelmendi ist Autor, Herausgeber und leitender Redakteur der Wochenzeitschrift JAVA, Pristina, Kosovo

Erzèn Shkololli, der im kosovarischen Peja geboren wurde und nach wie vor dort lebt, reflektiert Vorstellungen von Tradition, Identität und Ideologie vor dem Hintergrund der häufig schwierigen Lebenswirklichkeit im heutigen Kosovo, wo die Albaner die Bevölkerungsmehrheit stellen. Umgeben von einem erstickenden ideologischen Kontext des Nationalismus auf dem Balkan, begann Shkololli, dessen Symbole und Archetypen zu erforschen und zu überdenken. Shkololli stellt die Ikonografie, die Kategorien und Bedeutungen eines für den Balkan prägenden Nationalismus – als vorherrschende Ideologie und ethnische Begrenzung von Staat und Gesellschaft – in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Und erkennt unvermutet, dass diese Symbole, löst man sie aus ihrem religiösen oder ideologischen Zusammenhand heraus, gleichermaßen faszinierend und geheimnisvoll sein können.

 
 

Die Ausstellung wird unterstützt durch

Dank an
Georg Kargl, Wien; Christian Nagel, Köln / Berlin; Collection of The Fabric Workshop and Museum, Philadelphia; Galleria Emi Fontana, Mailand

 
Galerie im Taxispalais Maria-Theresien-Str. 45 A-6020 Innsbruck
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr LeseRAUM: Di-Sa 11-18, Do 11-20 Uhr
T 0512/508-3172, -3173 F 508-3175 taxis.galerie@tirol.gv.at