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"Mobilien" sind
transportierbare, bewegliche Gegenstände, meist dem Bereich
der Inneneinrichtung zugehörig, die über die
alltägliche Form ihrer Nutzung hinaus mit Geschichte behaftet
sind. Die "Mobilien", die diese Ausstellung versammelt, wurden von
sechs international renommierten KünstlerInnen –
Olga Chernysheva, Jimmie Durham, Tamara Grcic, Renée Green,
Seth Price und Erzèn Shkololli –
künstlerisch transformiert. Sie loten die Beziehung zwischen
einem Alltagsgegenstand und dessen narrativem Potenzial als Speicher
von Erinnerungen aus. Die künstlerischen Objekte werden so zu
Behältnissen einer abwesenden politischen und sozialen
Wirklichkeit, die durch die Materialität der Objekte
symbolische Präsenz erlangt.
In einem subtilen
Gleichgewicht zwischen Zeigen und Verbergen schließen diese
"Mobilien" Aspekte des Transitorischen und des abwesenden Anderen
ebenso ein wie die Wiederkehr eines verinnerlichten Traumas. Ein Stuhl,
eine Tasche, ein Bett, ein Foto eines Teppichs, ein
Kinderspielgerät, ein Büroschrank gewinnen auf diese
Weise allegorische Qualität und eröffnen dadurch neue
Bedeutungen und Sichtweisen auf die Vergangenheit wie auf die
Gegenwart. Triviale Gegenstände, die jedem vertraut sind,
werden so zum Auslöser für eine Wahrnehmung, die eine
emotionale und zugleich reflektierte Sicht eröffnet auf eine
spezifische (politische) Situation bzw. Geschichte, die ansonsten
unbemerkt geblieben wäre.
"Membranes" (2001) von Olga
Chernysheva besteht aus acht Farbfotografien von
Orientteppichen, deren Maßen sie entsprechen. Sie beziehen
sich auf den russischen Brauch, demzufolge Wohnungen mit einem oder
mehreren Wandteppichen als Statussymbol ausgeschmückt werden.
Aufgrund der Wirtschaftskrise während der 1990er Jahre im
postkommunistischen Russland sahen sich viele gezwungen, ihre Teppiche
zu verkaufen. Die Arbeiten von Chernysheva verweisen somit auf ein
charakteristisches Alltagsobjekt, das – in Fotopapier
transformiert – einen materiellen und symbolischen Verlust
anzeigt, in dem sich die aktuelle politische und soziale Wirklichkeit
verdichtet.
In "Travelling Bags"
(1999) von Tamara Grcic gewinnen sieben
identische, schwarze Nylonreisetaschen, wie sie in billigen
Geschäften erhältlich sind, skulpturale und
emotionale Präsenz. Die Reißverschlüsse der
Taschen stehen offen und geben die Sicht frei auf ordentlich
zusammengefaltete Kleidungsstücke – Hüllen
nicht anwesender Menschen, die offenkundig unterwegs sind. Aus dem
räumlichen und zeitlichen Kontinuum des Alltags
herausgelöst, werden diese Taschen zum Bild für die
weltweite Migrationsbewegung, von der Millionen von Menschen betroffen
sind.
Ein auf den ersten Blick
herrschaftliches Interieur wird in der Installation der
afroamerkanischen Künstlerin Renée Green
zum Ausgangspunkt ihrer kritischen Inszenierung und Infragestellung
rassistisch-sozialer Rollenmuster. "Mise-en Scène:
Commemorative Toile", deren erste Version 1992 zu sehen war, besteht
aus einer Gruppe von Stilmöbeln, deren Polster mit einem von
der Künstlerin entworfenen Stoff bezogen sind, wobei Green
für dessen Motive historische Darstellungen verwendete. Das
Muster, das sich auch auf der zu dem Ensemble gehörenden
Wandtapete wieder findet, zeigt jedoch keine pastorale Idylle, wie man
sie in einem herrschaftlichen Interieur von 1800 erwarten
würde. Vielmehr sind bizarre wie grausame historische Szenen
aus dem haitianischen Sklavenaufstand von 1804 zu sehen.
"Bed" (1999) von Erzèn
Shkololli verknüpft die muslimische Kultur des
Kosovo mit seiner Obsession für den Tod. Bis ins kleinste
Detail – die glänzenden Stoffe, die prachtvollen
Stickereien – ist dieses Bett gestaltet, das Shkololli wie
eine altarartige Erscheinung mitten in den Raum stellt. Shkololli,
schreibt der in Pristina lebende Autor Migjen Kelmendi, "hat die
seltene Gabe, gewöhnlichen Dingen die Alltäglichkeit
zu nehmen". Aufgeladen durch die jüngsten historischen
Geschehnisse im Kosovo wird Bed wird zu einer Allegorie des Todes, die
zugleich auf den Frieden verweist.
Ausgangsmaterial von
"Modern Suite" (2002) sind Aufnahmen aus Warenkatalogen im Internet,
die industriell gefertigte Kinderspielgeräte für
Spielplätze im Freien anbieten. Der in Ost-Jerusalem geborene
und in New York lebende Seth Price setzte diese
statischen, bereits digitalisierten Bilder zu einem Video zusammen.
Verstärkt durch die Musik erhalten die ohne Kinder
abgebildeten Spielgeräte etwas Bedrohlich-Melancholisches. Was
Price hier offenbar werden lässt, sind Architektur gewordene,
kitschige und manchmal verstiegene Erwachsenen-Fantasien über
die Räume für Kinder.
Jimmie Durham
schließlich hat seine Installation "The Petrified Forest"
(2001/2004) speziell auf die architektonischen Gegebenheiten der Halle
im Untergeschoß abgestimmt. Sein "versteinerter Wald" wird
von Büromöbeln wie Schränken und
Schreibtischen sowie Bürogeräten, Computern,
Faxgeräten, Lampen u. a. gebildet. Durham hat sie mit grobem
Zement zugeschüttet, sodass sie wie nach einem Erdrutsch nur
teilweise sichtbar sind. Das Publikum wird auf schmalen Pfaden durch
diesen "versteinerten Wald" geführt, der sowohl befremdliche
Katastrophenstimmung hervorruft als auch ein Gefühl von
anarchischer Befreiung aus dem verwalteten Alltagsleben
auslöst.
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Vortrag
Migjen
Kelmendi
Freitag, 7. Mai 2004, 18 Uhr
Migjen Kelmendi ist
Autor, Herausgeber und leitender Redakteur der Wochenzeitschrift JAVA,
Pristina, Kosovo
Erzèn
Shkololli, der im
kosovarischen Peja geboren wurde und nach wie vor dort lebt,
reflektiert Vorstellungen von Tradition, Identität und
Ideologie
vor dem Hintergrund der häufig schwierigen Lebenswirklichkeit
im
heutigen Kosovo, wo die Albaner die Bevölkerungsmehrheit
stellen.
Umgeben von einem erstickenden ideologischen Kontext des Nationalismus
auf dem Balkan, begann Shkololli, dessen Symbole und Archetypen zu
erforschen und zu überdenken. Shkololli stellt die
Ikonografie,
die Kategorien und Bedeutungen eines für den Balkan
prägenden
Nationalismus – als vorherrschende Ideologie und
ethnische Begrenzung von Staat und Gesellschaft –
in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Und erkennt
unvermutet, dass diese Symbole, löst man sie aus ihrem
religiösen oder ideologischen Zusammenhand heraus,
gleichermaßen faszinierend und geheimnisvoll sein
können.
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