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"Via col vento" (Vom Winde verweht),
1975, Galleria Emi Fontana, Milano, e Archivio Michelangelo
Vasta, Firenze
"Verbum, Parola, Mot, Word", 1967, Privatsammlung
Ketty La Rocca, Galerie im Taxispalais 2003, Raumansicht (Blick
von Raum 2 in Raum 3)
Fotos: Rainer Iglar
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Ketty La Rocca gehört zu den bedeutendsten VertreterInnen der
konzeptuellen Kunst in Italien. Die Arbeit der früh verstorbenen
Künstlerin umfasst die visuelle Poesie, die bildende Kunst
und die Performance. Die poetische, experimentelle, medienkritische
Untersuchung von La Rocca gilt der Sprache, den Bildern und stereotypen
Zeichen der Alltagswelt.
Die frühesten Arbeiten von Ketty La Rocca
sind Collagen, mit denen sie 1964 begann. Bereits hier –
in Blättern wie "Possiamo bruciarlo" (Wir können
es abbrennen, 1964–65), "Come
si vende?" (Wie verkauft es sich?, 1964–65)
oder "Chi cosa dove" (Wer was wo, 1965) –
verdichtet sie in eindrucksvoller und prägnanter Form ihre
politische Kritik, mit der sie zugleich ein Zeugnis von der Aufbruchstimmung
dieser Zeit gibt.
Zur Debatte stand eine Gesellschaft, die zunehmend
von Konsum und Medien dominiert und konditioniert wurde. La Rocca
übernahm den Ansatz der Popart, die Bilder der Medien und der
Waren in all ihrer Stereotypie und Trivialität zunächst
anzuerkennen, um die Kunst mit einem von ihr bisher unbeachteten
sozialen Feld zu konfrontieren. In Vorwegnahme späterer kritischer
Konzepte verschrieb La Rocca sich jedoch nicht dem zumeist affirmativen
Charakter der Popart. Vielmehr brachte sie in ihrer "Poesia
Visiva" mit sarkastisch-poetischem Sprach- und Bildwitz die
Versprechungen, die die Werbung den Frauen machte, zum Kippen –
etwa in "Vergine" (Jungfrau, 1964–65)
und "Sana come il pane quotidiano" (Gesund wie das tägliche
Brot, 1965). Bilder und Slogans der saturierten Konsumwelt oder
der Kirche montierte sie zusammen mit Bildern des Krieges oder der
so genannten Dritten Welt –
z. B. in "Le scimmie impareranno a parlare?" (Werden die
Affen sprechen lernen?, 1964–65)
–, um die westliche Ignoranz
gegenüber anderen Kulturen oder gegenüber Opfern bloßzustellen.
Die Strategie, das Bild oder sprachliche Zeichen
in ihrer repräsentativen Klischeehaftigkeit dingfest zu machen,
um damit deren soziale Konvention zu unterlaufen und in etwas anderes
zu verwandeln, wandte La Rocca auch bei einzelnen Worten, Buchstaben
und Schriftzeichen an, etwa in Verbum, Parola, Mot, Word (1967)
oder Due punti (Zwei Punkte, 1969), oder auch in dem isolierten,
freistehenden bzw. liegenden J von 1970 (siehe RAUM 3).
So schrieb Ketty La Rocca 1970: "Wir befinden
uns immer dann in einem poetischen Diskurs, wenn die idealisierende
bzw. Bedeutung gebende Funktion intensiviert wurde, losgelöst
von den Zeichen der Alltagssprache. Daher ist es zulässig,
das Produkt aller Operationen beziehungsweise bestimmter sprachlicher
Konstruktionen als poetisch zu definieren, welche, indem sie gewohnte
verbale Zeichen befrachten oder von den gewohnten Bahnen der sprachlichen
Zeichen im Feld der üblichen Zusammenhänge abweichen oder
indem sie sogar jedes Zeichen mit einer spezifischen Bedeutung übergehen
und ein Denotat an dessen Stelle anbieten, eine Kommunikation, ein
Mehr an Kommunikation ermöglichen."
Ketty La Roccas Ausgangspunkt in der Werkgruppe
der "Riduzioni" (Reduktionen/ Bearbeitungen) sind alltägliche
Fotos – sei es ein Familienfoto,
ein Zeitungsfoto, eine millionenfach verkaufte Kunstpostkarte, seien
es Filmplakate wie in "Pandora" (1975) und "Via col
vento" (Vom Winde verweht, ebenfalls 1975) oder Installationsansichten
einer Galerie wie in "Figure in Galleria" (1974) oder
"Cavellini e Warhol" (ebenfalls 1974, siehe RAUM 3). Das
Prinzip der "Riduzioni" besteht darin, das Ausgangsfoto
durch eine oder mehrere Variationen seriell zu erweitern. Dies geschieht
durch die grafische Schematisierung des Bildes, die nach verschiedenen
Mustern erfolgt: Entweder "zeichnet" die Künstlerin
mit ihrer Handschrift die Konturen jener Formen nach, die ihr wichtig
erscheinen, oder sie arbeitet durch Linien und schwarz markierte
Flächen bestimmte Elemente heraus, die dann ebenso wie die
Schrift eine inhaltliche Umdeutung bewirken.
1975 merkte La Rocca an: "Es gibt schon
derart viele Dinge zu sehen, zu verstehen, zu lesen, neu zu erleben.
Ja, von Zeit zu Zeit neu zu erleben, jeder auf seine Art. Ich nehme
Bilder, die schon von vielen und seit sehr langer Zeit gesehen wurden,
die durch die allgemeinen Beschreibungen fad geworden sind. Ich
erlebe sie neu mit all den Stereotypen der Erkenntnis, die man mir
angehängt hat. Bis zu dem Moment, wo sie etwas Anderes werden,
wo sie "dieses Bild" werden, außerhalb und über
jegliche Gesamtinterpretation hinaus."
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