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Das Zusammenspiel von
vorgefundenen, medial geprägten und erlebten, vorgestellten
und erinnerten Bildern steht im Mittelpunkt der Ausstellung "Mehrfach
belichtet / Multiple Exposure". Lässt sich die
"Mehrfachbelichtung" zunächst als eine technische
Unregelmäßigkeit definieren – wenn der Film in
der Kamera nicht korrekt transportiert, kann es zu mehrfachen
Belichtungen auf einem Negativ kommen –,
wurde sie künstlerisch bald als bewusstes Stilmittel genutzt.
Für die Ausstellung "Mehrfach belichtet / Multiple Exposure"
steht der Begriff als Metapher für die Überlagerung
von eigenen und fremden Bildern, von Pose und Inszenierung, von medial
vermittelten und fiktiven Momenten in der Wahrnehmung und Konzeption
von Realität: ein alltäglich erfahrbares
Phänomen, dem die eingeladenen, international vertretenen
KünstlerInnen in verschiedene Richtungen nachgehen.
Bezugsfelder sind neben Druckmedien, Fernsehen und Kino auch Aspekte
des Dokumentarischen.
Die Videoprojektion
"TÜR Vierzehn –
reading in absence" (2001) von Ricarda Denzer (A)
setzt die mediale Struktur des Erzählens, mit der wir unsere
Umgebung zu interpretieren gewohnt sind, ins Bild. Eine Kamera wandert
durch eine leer stehende Wohnung. Anhand der verbliebenen
Einrichtungsspuren suchen sechs ErzählerInnen aus dem Off den
Alltag der ehemaligen BewohnerInnen zu rekonstruieren. In diesem
Wechsel zwischen Beobachtung und Fantasie wird die Wohnung zum
Schauplatz einer vielschichtigen, teils widersprüchlichen
Erzählung.
Der Film "sonst wer wie
du" (2003) von Jeanne Faust und Jörn
Zehe (D), der für "Mehrfach belichtet / Multiple
Exposure" entstanden ist, inszeniert eine alltägliche
Situation. Zu sehen ist eine Totale, aufgenommen zwischen Hall in Tirol
und Innsbruck. Vor dieser Kulisse spielt eine kurze Szene, fast wie ein
Ausschnitt aus einem längeren Film –
ein Dialog zwischen einem jungen Polen, der auf dem Feld arbeitet, und
einem Einheimischen. Faust / Zehes Film-"Panorama" bildet die
Bühne, auf der verschiedene Bilder und Erwartungen aufgerufen
werden: Projektionen des Fremden und Vertrauten, aber auch
Vorstellungen des "Alpenländischen", dessen Bildreservoir sich
u. a. aus Heimatfilmen, Landschaftsmalerei, Tourismuswerbung speist und
das auf das vorhandene Nebeneinander von Landwirtschaft, Kleinindustrie
und Gewerbebetrieben stößt.
Die Videoinstallation
"Code Talker" (2001) von Philipp Lachenmann (D) und
die Arbeit "La Pekuniala Teorio di Silvio Gesell"
(2002) von Matti Braun (D) gehen medialen
Übertragungs- und Aneignungsprozessen und damit verbundenen
Bedeutungsverschiebungen nach. Sprache als Mittel der Kommunikation
sowie die Unmöglichkeit direkter "Übersetzungen"
spielen in beiden Fällen eine wichtige Rolle. Bei Lachenmanns
Videoporträts, einer Mischung aus Selbst- und
Fremdinszenierung, deutet sich dies bereits im Titel "Code Talker" an:
Er bezieht sich auf eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte
Geheim-Sprache der Navajos, die in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts
in den Dienst der US-Army gestellt wurde.
Ausgangspunkt von Matti
Brauns "La Pekuniala Teorio di Silvio Gesell" ist
der Deutsch-Franzose Silvio Gesell, dessen Anfang des 20. Jahrhunderts
formulierte Idee des "Freigelds" in den dreißiger Jahren u.
a. in Wörgl (Tirol) für kurze Zeit umgesetzt wurde.
Montiert aus dokumentarischen Fotografien und ergänzt durch
bewegte Diagramme, betont die elliptische Struktur von Brauns Video die
Dialektik von fotografischem Stillstand und der Verknüpfung
von Einzelbildern zu filmischer Bewegung. Es handelt sich um eine immer
wieder angehaltene Meta-Erzählung, die Brüche und
Auslassungen erkennbar werden lässt.
Katarzyna
Józefowicz (PL) verdichtet die
Allgegenwärtigkeit schnell vergänglicher Bilder in
Tages-
zeitungen und Zeitschriften in einer räumlichen Figur. "Carpet
(Black and White)" (2000) collagiert unzählige
Zeitungsausschnitte von Gesichtern zu einer circa elf Quadratmeter
großen Bodenarbeit. Die Bedeutung des einzelnen Bildes wird
durch das obsessive Nebeneinander relativiert: eine
Verräumlichung der unablässigen Zirkulation bereits
reproduzierter, veröffentlichter Bilder.
Die Foto-Serien von Bruno
Serralongue (F) zeigen Ereignisse von hohem Symbolwert, die
für und durch die Medien inszeniert sind. Durch den
langwierigen Aufnahmeprozess mit einer Großbildkamera und die
teils aufwendigen Formate –
wie bei "Expo 2000" (2000) –
begegnet Serralongue flüchtigen Medienereignissen mit einer
Strategie der Langsamkeit. In "Risk Assessment Strategies" ("Strategien
zur Einschätzung von Risiken", 2002) treibt er seine Reflexion
der ästhetischen, sozialen und politischen Dimension von
Bildern und der Bedingungen ihrer Entstehung weiter: Aufgenommen in
einem Trainingscamp für JournalistInnen, die in Krisengebiete
entsandt werden und vorher in künstlichen Szenarien lernen,
sich vor Gefahren zu schützen, thematisiert diese Serie die
Fabrikation des vorweggenommenen Ereignisses.
"102nd Street" (1997)
von Rachel Khedoori (AUS) lässt den Aspekt
der Vervielfältigung gewohnter Perspektiven zu einer
körperlich-räumlichen Erfahrung werden. In einem
abgedunkelten Raum projiziert ein 16mm-Filmprojektor einen
zweistündigen Film –
zu sehen sind langsame Kamerafahrten entlang der 102nd Street im
kalifornischen Inglewood –
durch einen diagonal montierten Spiegel in einen Guckkasten. In einer
weiteren Projektion werden die Bilder an der Wand dahinter gedoppelt.
Der filmische Apparat wird zu einem skulpturalen Element, das keine
Perspektive bevorzugt und dadurch den Umraum – und die
BetrachterInnen –
einbezieht: eine modellhafte Verschränkung vorhandener und
projizierter Räume und Bilder und eine bewusste Dezentrierung
der Perspektive.
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